O‘zapft is
„Auf eine friedliche Wiesn“ krächzte der Pfau und ehemalige OB Ude jahrelang und wurde jetzt vom Gutmenschen und Biedermann OB Reiter abgelöst. Nach Reiters „O‘zapft is“ geht‘s los: Schickeria-Trachtler, T-shirt-Träger mit „Fuck me“, Amis, Australier und Italiener und andere Damen und Herren kommen auf die Wiesn, um die Gleichmachung der Verhäßlichkeit des Menschen zu zeigen. Alle schieben ihre wabernden Wänste in die Zelte, um da die Beschallung mit „Wuffdada“ im Einheitsbreiton als sogenannte „Volksmusik“ zu genießen.
„Auf geht‘s“ und „gsuffa“ auf eine zig-tausendfache Gemütlichkeit. Die Burschen wackeln auf den Bänken und die „Maderln“ zeigen ihre gespaltene Persönlichkeit ohne Hoserln auf den Tischen. Der kulturelle Höhepunkt des Wiesnbesuchs sind die Lieder: „Kufsteinlied“, CountryRoad“ und die schwerwiegende Existenzfrage: „Who the fuck is Alice“.
Wem das alles zu massenhaft oder proletarisch ist, hat einen Platz in Käfers hölzener Legebatterie, wo die Promis und besseren Herrschaften mit Zitronentörtchen der Magerstufe 7 neben thailändischen Urlaubsmitbringseln oder aufgespritzten Russendamen zur gleichen hochsymphonischen Musik wie im Zelt schunkeln.
Hier wie bei den Menschenmengen in den Zelten kann man getrost von Massentierhaltung sprechen – so viele Säue werden rausgelassen.
Fragt sich, ob Bert Brecht recht hatte mit seinem Diktum: Das Volk wünsche nicht tümlich zu sein. Hier liegt er voll daneben. Doch der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung wird drei Wochen auf der Wiesn eingelöst und die immer noch Individualität fordernde Gesellschaft giert geradezu danach, so zu sein wie alle anderen.
Menschenrechtlich gesehen, gebührt der Wiesn also ein Platz als Weltkulturerbe, wäre da nicht der Fall der Verarmung einiger weniger Wiesnteilnehmer. Die Wirte und Schausteller sind gemeint.
Und am 26. September 1980 tötete ein Attentäter 13 Menschen und verletzte 130 Wiesnbesucher. Seit dieser Zeit sind die Köpfe der Ermittler zugesoffen, denn wir erfahren über den Täter wenig und über die Hintermänner noch weniger, obwohl Spuren zur Wehrsportgruppe Hoffmann hinwiesen.
Aber wen interessiert das schon? Die Besuchermillionen sind froh, dass jedes Jahr der Bierpreis erhöht wird und die Stadt München freut sich, dass sie die Wirte nicht sozial unterstützen muss.
von Michael Zornkorn