Gurlittchen und der Skandal

Zorn kann und will am Gurlitt-Skandal nicht vorbeisehen, auch wenn dieses Kapitel von einer ungeheuren Komplexität ist. Denn die eigentlichen Skandal-Figuren sind nicht der verschrobene, weltfremde, trottelige Cornelius Gurlitt (vielleicht spielt er diese Rolle auch sehr überzeugend) und sein Vater, der skrupellose Bilderdieb und Hehler Hildebrand Gurlitt, sondern die Politiker, die Galeristen, die Händler und die Museumsleiter.

Bezeichnend für die Mentalität des Kunsthandels und seinem Klientel waren die Presseschlagzeilen, dass es sich beim Gurlitt-Schatz um Werte in Höhe von 1 Milliarde handelt. Da wurde man hellhörig, da könnte man ja wieder Geschäfte machen. Die Tatsache, dass es sich größtenteils um Raubkunst aus der Nazizeit handelte, war nicht so schlagzeilenträchtig. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Bilder vermutlich „nur“ 100 Millionen oder weniger wert sind, hat das mediale Interesse merklich nachgelassen.

Skandal 1: Die Politiker wussten alle vom Raub jüdischer Kulturgüter. Das war bekannt und wurde bisweilen sogar im Schulunterricht angesprochen. Außerdem machten jüdische Erben unzählige – häufig vergebliche – Eingaben an Politiker zur Rückgabe ihres geraubten Eigentums. Es war auch bekannt, dass Albert Speer, der Mörder von Millionen Zwangsarbeitern, nach dem Krieg Raubbilder verkaufte. Die Politiker beriefen sich aber auf das Gesetz vom 31. Mai 1938 über die Einziehung entarteter Kunst aus jüdischem Besitz oder aus Museen. Oder sie verwiesen auf die Verjährung der Raubverbrechen. Dieses Gesetz besteht noch bis heute und keiner Regierung ist es in den Sinn gekommen, es abzuschaffen.

Wie gnadenlos doppelmoralig Politiker sind, zeigt folgendes Beispiel: Paul Klees Gemälde „Sumpflegende“ hängt immer noch im Lenbachhaus München und das Haus verweigert die Herausgabe des Bildes, obwohl es in der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München gezeigt wurde. 1941 kaufte es Gurlitt, nachdem es der Familie Lissitzky geraubt wurde. 1982 kaufte es die Stadt München. Jens Lissitzky, der Bildeigentümer, verklagte die Stadt auf Herausgabe. Die Richter des Landgerichts München hielten die Forderung für verjährt. Die Klage auf Herausgabe sei unbegründet. Auch der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, der sich immer bei jüdischen Gedenk-und Festtagen in den Vordergrund spielt, fand die Nichtherausgabe des Klee-Bildes für richtig.

Nach der Washingtoner Konferenz 1998 über Vermögenswerte und Kunstwerke, beschlagnahmt in der Zeit des Holocaust, wurden die Museen aufgefordert nach Raubkunst zu forschen. Man zeigte allgemein wenig Bereitschaft, dieser Aufforderung nachzukommen. Der Vorsitzende des Wuppertaler Museums schrieb in der Westdeutschen Zeitung: „Eine moralische Verpflichtung vermögen wir – fast 60 Jahre nach Beseitigung des Nazi-Unrechtsregimes (immerhin) – angesichts der vielen Millionen Mark Wiedergutmachung – nicht zu erkennen, Bilder herauszugeben.“ Eine Stimme von Hunderten.

Skandal 2: Die Kunsthändler und Galeristen. Im Umgang mit Raubkunstwerken gab es Verrat, Intrigen, Falschaussagen, Vertuschungen, Erinnerungslücken bis hin zu kunstgeschichtlichem Unwissen. Die Hauptdrahtzieher des Raubkunsthandels waren und sind teilweise noch das Kunsthaus Lempertz in Köln, die Villa Grisebach in Berlin, Neumeister vormals Weinmüller in München, Welz in Salzburg und der ehemalige Schmierölhändler Roman Norbert Ketterer. Das Haus Ketterer ist heute noch ein sogenanntes renommiertes Auktionshaus in München.

Mit Raubkunst wurden Millionen verdient und werden noch heute ergaunert. Die Politik schaut weg oder hat nichts gewusst. (Parallelen zu den NSU-Morden tun sich auf). Zwei Jahre hat die bayrische Staatsregierung nichts vom Gurlitt-Schatz gewusst und die damaligen Minister für Justiz und Kunst, Beate Merk und Wolfgang Heubisch, haben erst aus der Presse erfahren, dass unter den vielen Gurlitt-Bildern „vermutlich“ auch Nazi-Raubkunst sei. Darüber zeigten sie sich „entsetzt“. Zorn ist entsetzt über so viel heuchlerische Dummheit. Und Heubisch sprach von einem „Fall mit einer nahezu einmaligen Dimension“. Vermutlich meinte er seine einmalige Blindheit in diesem Fall.

Es wäre nun eine schöne Aufgabe, zu recherchieren, in wieweit Münchner Galerien wie z.B. Thomas und andere in Fälle von Raubkunsthandel verstrickt sind. Zorn nimmt gerne jede Information entgegen.

(Quellen: Süddeutsche Zeitung, Abendzeitung München, Stefan Koldehoff: „Die Bilder sind unter uns“ und der zornige Menschenverstand)

von Peter Klee