Verzweifeln an Bayern

Verzweifeln an Bayern

Ich soll etwas schreiben. Zu Bayern. Als Karl Kraus 1933 seine Dritte Walpurgisnacht schrieb, eröffnete er sie mit dem Satz „Mir fällt zu Hitler nichts ein“. Mir fällt zu – Baiern nichts ein. Doch, jetzt fällt mir was ein zu Bayern: Zum 30. Geburtstag schenkte mir eine Freundin eine Postkarte mit dem Achternbusch-Zitat: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe solange, bis man ihr das anmerkt“: Bayern – Oberbayern.

Das baierischste, ja das urbaierischste alles Bayerischen – ist das Böllerschießen. Böllerschießen hat nichts zu tun mit den Raketen, welche zu Silvester in den Himmel geschossen werden. Es handelt sich – laut Wikipedia – um eine Tradition, bei der die Schützen „in Tracht oder historischen Uniformen“ auftreten, und an besonderen Fest- oder Feiertagen mit Böllern mittels „Schwarzpulver Krach erzeugen“. Was kann ich nun als linker, antifaschistischer, kommunistischer Intellektueller zum Böllerschießen als eines der höchsten bayerischen Kulturgüter sagen? Wie immer mache ich mich kundig und arbeite mich in das kulturhistorisch bedeutsamste Element bayerischer Hochkultur ein: Die Bayerische Böllerschützenordnung (BBSO).

Nach dem Studium der bayerischen Grundordnung für das korrekte Böllerschießen (ich lerne u.a. den Unterschied zwischen Hand- und Standböllern) versuche ich alles an kritischer Theorie, von Marx über Gramsci bis hin zu Bourdieu, zu mobilisieren, um die BBSO in ihrem vollständigen Gehalt zu verstehen. Doch mein theoretisches Instrumentarium versagt; die Böllerschützenworte verschlagen mir – fast – die Sprache:

„Das Brauchtum verlangt eine einheitliche und traditionelle Anzugsordnung. … Zur Männertracht ist es Pflicht, eine Jacke und einen Hut zu tragen. Ohnehin ist es (auch für Frauen) sinnvoll, mit einem Hut zu schießen, weil sonst das unverbrannte Pulver in den Haaren haften bleibt. Bundhosenstrümpfe sollen nicht nach unten abgerollt werden. Nicht traditionell gekleidete Schützen (z.B. mit Jeans) dürfen sich am Böllerschießen nicht beteiligen. Zum Schießen selbst gehört gemeinschaftliches, diszipliniertes, einheitliches und sicheres Auftreten“ (BBSO 2009, S.4).

Die strenge Kleiderordnung für den Schützen kann ich mit der ideologischen Aus- und Einrichtung des männlichen Körpers in einen militärischen Verband und damit in Befehls- und Gehorsamsstrukturen gerade noch erklären. Das Ausmaß an intellektueller Hilflosigkeit ist jedoch erreicht, wenn ich Grundsätze zum Böllergerät und zur Kommandofolge begreifen soll:

„Voraussetzung für ein erfolgreiches Platzschießen ist der Schießplatz. … Das Abfeuern von Anzündhütchen nach Ankunft am Parkplatz ist eine Unsitte, die nur zum Verstopfen des Pistols führt … Schussversager dürfen nicht nachgeschossen werden! Am Schluss des Platzschießens werden alle Versager unter dem Kommando des Schießleiters abgeschossen“ (ebd., S.2ff).

Um nun zu erkunden, ob – wie es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorschreibt – Frauen in der Böllerschützenvereinigung Diskriminierungen ausgesetzt sind (obwohl mir trotz intensiven Nachfragens in der oberbayerischen weiblichen Bevölkerung keine Frau bekannt ist, die bei den Böllerschützen Mitglied werden will), telefoniere ich mit dem dafür zuständigen „Landesböllerreferenten“:

Der Landesböllerreferent: „Vui san ned dabei“. Nachfrage meinerseits, wie viele es seien. Antwort: „Bei uns war oane im Verein und dann war da Deifi los. Des hob i scho amoi da Süddeutschen g’sogt, do war aa da Deifi los.“ Auf die erneute Nachfrage auf den vereinsinternen „Einsatz“ der Frauen bei den Schießveranstaltungen: „So a Dirndlgwand is ja wos Scheens, aber de Männer wern ned so ausfällig wia de Weiba. Fürn Kaffää und an Kuacha kemmas aber scho braucha.“

Gibt es hier für linke Politik etwas zu gewinnen? Was kann ich als überzeugter marxistischer Feminist dazu beitragen, damit oberbayerische Böllerschützen Kuchenbacken und Kaffeemachen nicht als Terrorangriff auf ihr heimatliches Brauchtum missverstehen? – Leere im Kopf. Mutlosigkeit. Verzweiflung. Schließlich hilft mir ein weiterer Achternbusch-Satz, um die nächsten fünfzig Jahre in Bayern zu überleben, ohne meinen Humor zu verlieren: „Ob der Mensch ein Hirn hat, kann letztlich nur der Metzger entscheiden.“

von Klaus Weber